Trauer. Wann darf man trauern? Darf man immer trauern oder nur wenn Friede, Freude, Eierkuchen herrscht? Trauert man nur um den Menschen, oder auch um Erlebnisse, schöne Zeiten und um Miteinander, die nicht mehr sind?
Ich trauere. Ich trauere um einen Mann, der mich als Baby als seine Tochter angenommen hat. Um meinen Vati. Ich war immer ein absolutes Papakind und hatte eine wundervolle Kindheit. Wir waren jede Woche im Zoo, jeden Winter rodeln (die Geschichte von den Eismännchen, die mich in die Fingerkuppe beißen, wenn wir rodeln waren, gruselt mich noch heute), haben aus Seiten der Kinderzeitschrift “Bummi” Boote gebastelt und mit in die Badewanne genommen.
Er hat mir erlaubt mit 14 zu meinem allerersten Konzert in Leipzig zu gehen – Bryan Adams. Er hat mich mit zwei verrückten Freundinnen zum Take That Konzert nach Berlin gefahren, wir waren zusammen bei Deep Purple in der ersten Reihe. Er hat meine Liebe zur tollsten Musik geprägt und hat mir gezeigt, wie toll es ist, in Geschichten in Form von Büchern einzutauchen.
Als meine Mama mir mit 9 Jahren erklärt hat, dass dieser Mann nicht mein leiblicher Vater und mein biologischer Vater bei einem Unfall kurz vor meiner Geburt ums Leben gekommen ist, habe ich geantwortet: “Ich habe doch einen Papa, der mich lieb hat.”
Leider hat sich das Blatt ein wenig gewendet. Schleichend in der Pubertät hat er mir signalisiert, dass ich aufpassen muss, was ich esse. Später, als ich ausgezogen war und in Köln allein gelebt habe, ging es bei jedem Telefongespräch mindestens einmal darum, ob ich denn abnehme, auf meine Ernährung achte etc. Nach der Trennung meiner Eltern wurde das extremer. Als ich am Heilig Abend weinend im Bett lag, weil ich einen Gutschein für ein Fitness-Studio geschenkt bekommen habe, habe ich beschlossen den Kontakt zu Menschen, die mir nicht gut tun, einschränken. Also hat sich unser Kontakt auf Whats App zum Geburtstag reduziert. Das tat mir trotzdem immer ein wenig weh. Einmal wollte ich etwas Lustiges mitschicken, um die komische Kommunikation etwas aufzulockern. Als Antwort bekam ich u.a. eine Hasstirade auf die Regierung.
Dieses Jahr an meinem Geburtstag habe ich die Nachricht erhalten, dass er mir nur noch persönlich oder telefonisch gratulieren werde. Ok.
Jetzt ist er nicht mehr da. Und ja das tut mir weh. Es tut mir weh, weil ich tief im Herzen noch immer irgendwie ein Papakind bin. Und weil ich niemanden auf dieser Welt wünsche, so früh gehen zu müssen. Ich trauere um meinen Vati, um diese wunderschöne Kindheit, um die tollen Erlebnisse. Ich trauere aber auch um meinen leiblichen Vater, weil ich mich frage, wie er gewesen wäre und ob er mich vielleicht so geliebt hätte, wie ich bin.
Bereue ich die Kontaktreduzierung? Nein. Es ist immer wichtig auf sich selbst zu hören und das zu tun, was einem gut tut. Es ist wichtig, sich und seinen Körper zu lieben. Bodyshaming und Manipulation sind ein rotes Tuch. Niemand sollte das durchmachen.
Aber ich hätte mich gern verabschiedet. Ich bin auf der Trauerfeier nicht erwünscht. Man möchte mich da nicht sehen. Weil ich auf mich gehört habe und ich mir wichtig bin? Dann ist das so. Ich werde einen anderen Weg finden, um Abschied zu nehmen.
Und Jemanden von einer Trauerfeier auszuschließen, sagt mehr über diesen Menschen aus, als über den Ausgeladenen. Ich glaube ganz fest an das Schicksal. Karma is a bitch.
Vati, ich danke Dir für meine Kindheit und dass du mir den tollsten Bruder geschenkt hast. Ruhe in Frieden.
Deine Drasi